Nobody knows anything - William Goldman

In dieser Rubrik beobachte ich den gegenwärtigen Kinomarkt und bewerte unter wechselnden dramaturgischen Gesichtspunkten die Erfolgsaussichten aktueller Filmstarts.


CAN A SONG SAVE YOUR LIFE?

Buch und Regie: John Carney

Die Tektonik des Musikfilms

Kaum ein Film kommt ohne Musik aus. Keine Liebesszene, die nicht von schwelgerischen Geigenklängen und kein Mord, der nicht von dissonanten Akkorden begleitet wird. Selbst zu Stummfilmzeiten wurden die Filmgeschichten von Live-Musikern untermalt. Nach Einführung des Tonfilms avancierte die Musik endgültig zum zentralen Stimmungstreiber in der Gefühlsmaschinerie des Films. In Zeiten crossmedialer Auswertungsketten ist die Vermarktung des Soundtracks zudem kein unbeträchtlicher Wirtschaftsfaktor. Insofern ist eigentlich jeder Film als "Musikfilm" zu verstehen. Im engeren Sinn sind damit jedoch Filme gemeint, in denen Musik bzw. das Aufführen von Musikstücken zum integralen Handlungsbestandteil wird. Nach dem wunderbar melancholischen ONCE legt der irische Musiker und Filmemacher John Carney mit CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? bereits den zweiten Musikfilm in diesem Sinne vor. Allerdings radikalisiert Carney hier den Musikfilm, da die Musik nicht nur zum Handlungsbestandteil, sondern zur heimlichen Hauptfigur aufsteigt.

Aus dramaturgischer Perspektive lässt sich zwischen Musical und Musikfilm unterscheiden. Im Musical wird die Handlung des Films für die Dauer des Musikstücks unterbrochen. Die Tanz- und Gesangseinlagen richten sich eher an die Zuschauer und weniger an Figuren innerhalb der erzählten Welt. In ihrem explizit ausgestellten Show- oder Performancecharakter erinnern sie an die Herkunft des Musicals aus der Theatertradition. Im Musikfilm sind die Stücke dagegen organisch in die Filmhandlung eingebaut. Meist wird hier die Geschichte eines Musikers oder einer Band erzählt, so dass sich das Aufführen von Musik natürlich aus dem Alltagsleben der Figuren ergibt. Anstelle die Geschichte zu unterbrechen sind die Musikstücke unmittelbar Bestandteil der Geschichte. Damit reagiert der Musikfilm in gewisser Weise auf die Kritik an Filmmusicals, die Gesangeinlagen wirkten dort künstlich und brächten die Handlung zum Erliegen ─ wie sie beispielsweise Ramón Peredes, Filmdozent an der New York University, formuliert.

Der Künstlichkeit des Filmmusicals wird in CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? gleich zu Beginn der authentische Auftritt der Singer/Songwriterin GRETTA (Keira Knightley) gegenübergestellt: Mit kratziger Stimme durch ein übersteuert eingestelltes Mikrophon verleiht sie in einem improvisierten Song ihrem ehrlich empfundenen Liebeskummer um Exfreund DAVE KOHL (Adam Levine) Ausdruck. Denn Dave ist sein überraschender Erfolg als Musiker zu Kopf gestiegen. Nicht nur hat er seine Jugendliebe Gretta für ein leichtlebiges Groupie sitzenlassen. Sondern mit einem mainstreamigen Popalbum auch gleich seine Integrität als Künstler verraten. Auch die gefühlvoll-ehrlichen Songs, die Gretta für ihn geschrieben hat, hat er darauf in schnöde Pop-Balladen verwandelt. Aus dieser durchaus originellen Konfliktsituation entwickelt Carney einen Liebesfilm der besonderen Art, in dem nicht der Verflossene, sondern die Musik zum eigentlichen Objekt der Begierde wird.

In der klassischen romantischen Komödie wird der Dualismus zwischen dem 'want', d.h. dem äußeren Ziel einer Figur, und ihrem 'need', d.h. ihrem wahren, zumeist unbewussten, inneren Bedürfnis, auf zwei Figuren aufgeteilt. Beispielweise möchte die Figur ihren Expartner ('want') zurückgewinnen, merkt aber im Zuge dessen, dass eine Nebenfigur ('need') viel besser zu ihr passt. Diese Konstellation scheint sich zunächst auch in CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? anzubahnen. Denn nicht nur die Zuschauer sind sofort von Grettas aufrichtiger Gesangseinlage angetan, sondern auch der abgehalfterte Musikproduzent DAN MULLIGAN (Marc Ruffalo). Begeistert von Grettas ungekünstelter Attitüde schlägt er ihr ein besonderes Projekt vor: Die Aufzeichnung eines Open-Air-Albums an den schönsten Plätzen New Yorks. Während der Aufzeichnungen knistert es denn auch zwischen Mentor und Sängerin. Als dann auch noch der reuige Dave Gretta zurückerobern will, konkurrieren allerdings weniger zwei Männer als vielmehr zwei unterschiedliche Vorstellungen von Kunst miteinander: Dave steht für den Ausverkauf künstlerischer Integrität zugunsten des kommerziellen Erfolgs; immerhin schreckt er nicht einmal davor zurück, sein und Grettas Liebeslied in einen kitschigen Mainstream-Hit zu verwandeln. Dan repräsentiert dagegen kompromisslose künstlerische Authentizität. Um seine eigenen Vorstellungen vom Musizieren durchsetzen zu können, hängt er sogar seinen lukrativen Job bei einem renommierten Musiklabel an den Nagel.

Allerdings kommt es nicht zum erwartbaren Happy End. Denn Dan gewinnt während der gemeinsamen Arbeit an Grettas Album seine Exfrau MIRIAM (Catherine Keener) und seine Tochter VIOLET (Hailee Steinfeld) zurück, von denen er sich entfremdet hatte. Und Gretta entscheidet sich gegen den selbstverliebten Dave, nicht zuletzt, um ihren eigenen Weg und ihre eigene Stimme zu finden. Zu Grettas 'need' wird damit nicht ein anderer Mann, sondern der authentische künstlerische Ausdruck. Wie schon in seinem Vorgängerfilm ONCE hat Carney gewissermaßen ein "Anti-Musical" geschaffen, das pompösen Showeinlagen Alltagspoesie und künstlerische Integrität entgegensetzt. Damit hat der unverkrampfte Stil des Films bereits eine Lektion verinnerlicht, die Popmusiker Dave noch schmerzlich lernen muss: Dass Gefühle durch ihre pompöse Inszenierung nicht größer, sondern kleiner werden.

Entsprechend wird der Film trotz (oder gerade wegen) seines Verzichts auf musicaltypischen Glamour sein Publikum finden. Denn so ganz ohne den Zauber und die Magie, die Musicals als Genre wesentlich auszeichnen, kommt er ja auch nicht aus. Stellenweise mutet die unwahrscheinliche Begegnung von Dan und Gretta im Großstadtdschungel von New York nämlich durchaus wie ein modernes Märchen an. Dieses ist dabei allerdings so charmant erzählt, dass es auch über einige dramaturgische Schwächen, wie den holzschnittartigen Vater-Tochter-Konflikt zwischen Dan und Violet, hinwegträgt. Insofern kann, nicht zuletzt auch aufgrund der aufgebotenen und überzeugend ausgespielten Starpower, CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? den Überraschungserfolg von Carneys Vorläufer nochmals übertreffen und die 200.000-Besucher-Marke großzügig überschreiten.

Veröffentlicht am: 1. September 2014

Prognose: >> 200.000 Besucher

Ergebnis: 230.000 Besucher (Quelle: EDI): Stand: 24. Januar 2015