Nobody knows anything - William Goldman

In dieser Rubrik beobachte ich den gegenwärtigen Kinomarkt und bewerte unter wechselnden dramaturgischen Gesichtspunkten die Erfolgsaussichten aktueller Filmstarts.

IM HIMMEL TRÄGT MAN HOHE SCHUHE

Regie: Catherine Hardwicke; Buch: Morwenna Banks

 Frauenpower vs. Krebs

In den nächsten beiden Wochen kommen gleich zwei Filme in die Kinos, die sich mit dem Thema Frauenpower und Krebserkrankung auseinandersetzen. Allerdings könnte die spezifische Behandlung dieses Sujets in beiden Filmen unterschiedlicher nicht sein. IM HIMMEL TRÄGT MAN HOHE SCHUHE versucht der düsteren Materie durch Modemagazinhochglanzoptik, sarkastische Oneliner und den Fokus auf eine inspirierende, lebenslange Frauenfreundschaft Leichtigkeit und Witz abzugewinnen. Dagegen schlägt das sensible Figurendrama FREEHELD über eine lesbische Liebe, die durch einen Krebstod auseinandergerissen wird, deutlich ruhigere und nachdenklichere Töne an. Gerade durch die sehr unterschiedliche Herangehensweise der beiden Filme an dasselbe Thema ist es reizvoll, sich über die jeweiligen Erfolgsaussichten Gedanken zu machen.

Im Frauenfreundschaftsfilm IM HIMMEL TRÄGT MAN HOHE SCHUHE sind JESS (Drew Barrymore) und MILLY (Toni Collette) von Kindheit an die besten Freundinnen und teilen alles miteinander: Den ersten Schultag; die erste (Kaugummi)-Zigarette; den ersten, zahnlosen Freund; den ersten BH; das erste wilde Besäufnis und den ersten Kater. Auf ihrem ersten Rockkonzert wird Milly von dem attraktiven Roadie KIT (Dominic Cooper) schwanger und gibt ihm auf einer chaotischen Punkhochzeit das Ja-Wort. Jess verliebt sich in den Handwerker JAGO (Paddy Considine) und richtet sich mit ihm ein gemütliches Hausboot auf der Themse ein. Die Bilderbuchwelt der beiden Frauen gerät erst durcheinander, als Milly unheilbar an Krebs erkrankt.

Die besten Freundinnen sind kontrastreich angelegt: Der schrillen, extrovertierten und selbstbewussten Milly steht die bodenständige, gefühlvolle und bedachte Jess gegenüber. Zu Beginn hat Milly Jess einiges voraus: Sie gibt stets den Ton an und hat im Gegensatz zu Jess, die verzweifelt versucht, schwanger zu werden, bereits eine glückliche Familie. Im Verlauf der Handlung wendet sich jedoch das Blatt. Milly verliert durch ihre Krebserkrankung nicht nur ihr hübsches Äußeres, sondern setzt durch eine Affäre auch noch ihr harmonisches Familienleben aufs Spiel. Jess bekommt dagegen mit ihrer großen Liebe Jago endlich das lang ersehnte Kind. Eine charakterliche, innere Wandlung machen die beiden Figuren durch diese Veränderungen jedoch kaum durch. Ihre Eigenschaften wie auch ihr Verhältnis zueinander bleiben weitgehend statisch. Nur, dass Milly sich gegen Ende sogar aus dem Hospiz aufrafft, um Jess bei der Geburt ihres Kindes beizustehen, zeigt, dass Milly ihren Eigennutz überwindet und Jess etwas zurückgeben will.

Auch ergeben sich aus den charakterlichen Unterschieden kaum echte Konflikte zwischen den Frauen. Die einzige starke Bedrohung ihrer harmonischen Welt kommt von außen: Millys Krebserkrankung, der sie jedoch machtlos gegenübersteht und die ihr auch keine Entscheidung abverlangt. Die inneren Konflikte der Figuren bzw. die Konflikte der Figuren untereinander, die sich aus Millys Krankheit ergeben, bleiben schwach und wirken forciert, wie Jess' Unbehagen Milly von ihrer Schwangerschaft zu erzählen oder Millys letztlich folgenloser Seitensprung. Damit plätschert die Handlung über weite Strecken etwas beliebig, unkonturiert und ziellos vor sich hin.

Wie jedoch Stephan Sacher in seiner Arbeit über liebenswerte Filmfiguren gezeigt hat, ist ein intensiver, innerer Konflikt der Königsweg, die Zuschauer für eine Figur einzunehmen. Anstatt über ein starkes moralisches Dilemma oder charakterliche Figurentiefe Emotionen zu erzeugen, wählt der Film die oberflächliche Hochglanzvariante. Beinahe jedes Bild könnte einem glossy Frauenmagazin oder einer schicken Lifestylezeitschrift entstammen: Das gemütliche Vintage-Hausboot von Jess und Jago, das durchgestylte Loft von Milly und Kit, ein romantisches Café auf einer Themse-Brücke, die urige Pension im Haworther Moor. Milly ist selbst als Krebspatientin noch perfekt gestylt; immerhin besorgt ihr ihre Fernsehstar-Mutter MIRANDA (Jacqueline Bisset) eine Perücke, die für einen Scorsese-Film gemacht wurde.

Emotionen sollen in dieser Bilderbuchwelt durch den manipulativen, zu offensichtlichen Druck auf die Tränendrüse erzeugt werden. Denn echte Einfühlung wird durch die forcierten Konflikte und die realitätsentrückten, unnahbaren Figuren verhindert. Problematisch ist auch, dass in einem Film, der neben der Krebsthematik vor allem über die lebenslange Frauenfreundschaft vermarktet wird, die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen nicht passt. Wenn auch Drew Barrymore und Toni Collette jeweils für sich genommen eine starke Performance abgeben, überzeugt ihre tiefe Filmfreundschaft nicht und wirkt nur behauptet.

Ein Plus des Films sind seine pointierten, sarkastischen Dialoge, die verhindern, dass das tragische Sujet ins Rührselige abrutscht. Auch wenn die stilisierten Englandbilder nur an der Oberfläche kratzen, sind sie an sich sehr hübsch anzusehen. Insgesamt ist der Film damit eher für unterhaltsamen DVD/VOD-Abend mit der besten Freundin geeignet als für die große Leinwand. Entsprechend werden sich die Besucherzahlen lediglich im fünfstelligen Bereich bewegen.

Veröffentlicht am: 4. April 2016

Prognose: 40.000 - 70.000 Besucher

Ergebnis: 50.000 Besucher (Stand: 26. November 2016; Quelle: iboe)