Nobody knows anything - William Goldman

In dieser Rubrik beobachte ich den gegenwärtigen Kinomarkt und bewerte unter wechselnden dramaturgischen Gesichtspunkten die Erfolgsaussichten aktueller Filmstarts.


BROOKLYN

Buch: Nick Hornby; Regie: John Crowley

"There's no place like home" - Die zwei Welten des Exilfilms

John Crowleys historisches Immigrationsdrama BROOKLYN, in dem die junge, arbeitslose Irin EILIS (Saoirse Ronan) in der Neuen Welt ihr Glück versucht, könnte angesichts der derzeitigen Flüchtlingskrise aktueller nicht sein. Für Eilis öffnen sich in ihrem irischen Heimatort Enniscorthy zu Beginn der 1950er Jahre kaum andere Perspektiven als ein Aushilfsjob im Gemischtwarenladen der sadistischen MISS KELLY (Brid Brennan) oder die Ehe mit einem grobschlächtigen Rugbyspieler. Entsprechend kehrt Eilis ihrer irischen Heimat den Rücken und beginnt im hoffnungsvollen New York ein neues Leben.

Zunächst eingeschüchtert von Glamour und Schlagfertigkeit der mondänen New Yorker gelingt es ihr nach einiger Zeit, sich an der Seite des liebenswerten Italoamerikaners TONY (Emory Cohen) ein neues Leben aufzubauen. Nach dem plötzlichen Tod ihrer geliebten Schwester ROSE (Fiona Glascott) muss Eilis jedoch in die Heimat zurückkehren und fühlt sich fortan zwischen ihrer Liebe zu Tony, ihrer Verantwortung gegenüber ihrer alten Mutter und auch ihren Gefühlen für den galant um sie werbenden Iren JIM (Domhnall Gleeson) zerrissen.

Damit verhandelt das Buch gleich mehrere emotionalisierende Plotelemente, neben der „Frau zwischen zwei unterschiedlichen Männern“-Thematik auch das „Fish-out-of-water“-Sujet eines Kleinstadtmädchens, das sich in der großen Stadt bewähren muss. Die Plotstruktur „Eine Frau zwischen zwei Männern“ bekommt hier aber einen besonderen Dreh, da sich Eilis nicht nur zwischen dem freundlich-naiven Tony und dem galant-charmanten Jim, sondern auch zwischen Heimat und Fremde bzw. zwischen ihrer irischen Herkunft und einer Zukunft in Amerika entscheiden muss. Die Geschichte erzählt von einer Figur zwischen zwei Welten und damit einer Plotidee, die die Filmwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen in ihrem großartigen Buch Heimweh: Illusionsspiele in Hollywood überzeugend als Grundstruktur des Hollywood-Films überhaupt herausgearbeitet hat.

Auch die beiden Männer, die sich um Eilis bemühen, sind kontrastiv angelegt. Der liebenswert-einfache Klempner Tony verkörpert mit seinem Familiensinn und seiner Liebe zu Baseball das typische Klischee des New Yorker Italoamerikaners und steht damit für Eilis' neues Zuhause. Der gebildete, reiche Erbe Jim kann bei Eilis vor allem punkten, weil er ihr von ihrer verstorbenen Schwester Rose erzählt und steht damit für Eilis irische Herkunft. Der Konflikt zwischen Heimat und Fremde wird demnach auf die beiden konkurrierenden Männerfiguren projiziert, die nicht zuletzt dadurch, dass sie Eilis beide kurz vor ihrer Abreise einen Heiratsantrag machen als gegensätzliche Spiegelfiguren angelegt sind.

Eilis' Entscheidung für Tony wird jedoch dadurch abgeschwächt, dass sie nicht von Eilis selbst, sondern von der intriganten Miss Kelly herbeigeführt wird. Damit erhält das Happy End des Liebesplots und auch Eilis' Entwicklungsgeschichte einen faden Beigeschmack. Auch krankt die Plotstruktur an ihrer Themenfülle. Der Coming-of-age-Thematik des Kleinstadtmädchens, das in der fremden Großstadt zu einer selbstbestimmten, jungen Frau heranreift wird breiter Raum zugestanden. Eilis' Zerrissenheit zwischen Tony und Jim bzw. zwischen ihrer neuen Heimat in New York und ihrer irischen Herkunft wird im letzten Akt dagegen etwas knapp und oberflächlich abgehandelt. Die epische Breite der hervorragenden literarischen Vorlage von Colm Tóibin hätte von Erfolgsautor Nick Hornby klarer auf einen dramaturgischen Spannungsbogen zugespitzt werden müssen.

Allerdings treten die dramaturgischen Schwächen hinter dem exzellenten, nuancierten Schauspiel von Saoirse Ronan zurück, die für diese Rolle zu Recht für den Oscar nominiert wurde. Je nachdem, ob Ronan den Preis tatsächlich gewinnt und dem Film so zu zusätzlicher Publicity verhilft, werden sich die Zuschauerzahlen zwischen 150.000 und 200.000 Besuchern bewegen.

Veröffentlicht am: 25. Januar 2016

Prognose: 150.000 - 200.000 Besucher

Ergebnis: 190.000 Besucher (Quelle: iboe) Stand: 26. November 2016